Seit
drei Jahren versterben mir die wichtigen Menschen. Zuerst vor gut zwei Jahren meine Liebste,
dann in diesem Jahr innerhalb weniger Monate meine Eltern. Der Tod der Eltern
besiegelt die Kindheit. Ich bin die Älteste von dreien, zwischen mir und dem
Himmel steht jetzt niemand mehr. Auch das eine neue Erfahrung. Ein Gefühl.
Endlichkeit ist kein Gefühl, aber lässt einige zu.
Vor
zwei Wochen nun begann in unserer Beratungsstelle, wo ich arbeite, eine neue
Ärztin. Die Klientinnen sind begeistert und fühlen sich in ihrer Beratung gesehen.
Nach
nur wenigen Stunden betrat sie mein Büro, um sich vorzustellen. Mit im Raum saß
eine Klientin, die grade aus ihrer Begutachtung gekommen war. Die Ärztin und
ich kennen uns gar nicht.
Plötzlich
schaut sie mich schräg an. Ich merke, sie überlegt nur kurz, dann fragt sie
unverblümt, ob meine Eltern grade verstorben seien.
Ich
bejahe das etwas komisch berührt, weil eben eine Klientin mit im Büro sitzt.
Diese wiederum lächelt mich freundlich an und sagt nur, das hätte sie auch
grade erlebt habe und sie ginge mal kurz raus. Als sie raus war, frage ich, was
das soll?
Die
Ärztin zögert gar nicht.
„Ich
sehe beide hinter ihnen. Besonders ihrer Mutter ist es wichtig, dass sie wissen
sollen, sie sollen ALLES, ich betone ALLES LOCKER ANGEHEN im Leben. Ihr Vater
steht nur daneben und nickt mit dem Kopf.
Ich
lache. „Das sagt die Richtige, aber gut, ich werde es mir durch den Kopf gehen
lassen.“
„Ihre
Mutter wirkt sehr ernst. Es wäre ihr nur von dort aus bewußt, dass es sich so
verhielte.“
Weiter
sagte sie nichts.
„Kann
ich noch Fragen stellen?“
„Später,
wenn sie alleine sind, können sie es versuchen. Jetzt ist hier niemand mehr.“
Hellsichtigkeit
ist mir zwar nicht fremd, aber sie überrascht mich doch immer wieder in der
Begegnung und ich erschrecke, was für Tote nicht unbedingt günstig ist, aber so
bin ich nun mal.
Ich
habe zu einem anderen Zeitpunkt von einem Medium gelernt, dass Tote nur
erscheinen, wenn die Person, der sie erscheinen, dafür bereit ist. Bereit war
ich zwar, aber nicht vorbereitet.
Es
gab einmal eine vollkommen andere Situation vor vierzig Jahren. Ich lebte
damals in einer Lesben WG, wir hatten wenig Geld und nahmen es mit den
Besitzverhältnissen nicht so genau. Wenn wir Schuhe brauchten, besorgten wir
sie uns halt. An diesem Morgen hatten wir ein Paar rote Stiefel organisiert,
gefüttert, Winterschuhe eben.
Am
selben Abend besuchten wir eine kostenfreie Veranstaltung in der Urania. Ein
englisches Medium war eingeladen und es wurde angeboten, dass sie mit
Verstorbenen reden könne, wenn die sich zeigten. Meine Freundin mit den roten
Schuhen hatte erst vor einer Woche ihren Vater an die Anderwelt verloren.
Wir
saßen also im Saal und bemerkten, wie viele Menschen auf ein Ereignis oder eine
Botschaft aus waren. Eigentlich wollten wir schon gehen. Da stand die alte Dame
auf und rief meine Freundin an:
„Ihr
Vater läßt ihnen ausrichten, dass sie das mit den roten Schuhen rückgängig
machen sollen. Sie kämen schon zu ihren Schuhen, aber nicht so.“
Wir
waren komplett überrascht und vermutlich wurden wir beide bis über die Ohren
rot.
Dann
schob sie noch freundlich nach: „Er lacht sehr herzlich.“
OK,
wir verließen den Abend sofort.
Draußen
schütteten wir uns aus vor Lachen.
Am
nächsten Morgen brachten wir die Schuhe unter erheblichen Aufwand wieder
unbemerkt zurück in den Laden.
Zwei
Wochen später gab es die Testamenteröffnung. Schuhe waren kein Problem mehr.
Noch
eines habe ich über hellsichtige Menschen gelernt. Sie fordern nie Geld dafür.
Das wäre ein Makel innerhalb der Innung. Aber sie dürfen mit Geschenke bedacht
werden.
Ach
und meiner Klientin war folgendes widerfahren. Sie hatte der Ärztin im Rahmen
der Anamnese von ihrem Elternhaus erzählt und plötzlich unterbrach die Ärztin
sie: „Verstehen Sie, warum ich die ganze Zeit viele Pflanzen und Gewächshäuser
sehe?“
Die
Klientin war als Kind neben einer Gärtnerei groß geworden. Tja so geht’s eben
auch mit der Hellsichtigkeit. Es werden nicht nur große Fässer aufgemacht.
Noch einen Nachtrag: Als ich am Abend von der Arbeit Nachhause kam, lag ein Newsletter in meinem emailfach: Thema BLEIBE LOCKER und zwar in jeder Lebenslage.
Ich hatte endgültig verstanden und mußte unheimlich lachen. Auch das gehört zur Medialität, der Humor.